25. September 2014

Im Gefängnis

Ich hatte es fast vermutet, dass ich meinen Onkel am 23. August 2012 im Gefängnis treffen würde. Ich war als Journalist unterwegs und folgte einer Einladung des brandenburgischen Innenministers Dietmar Woidke. Der Minister wollte, dass ich über sein neues Gefängnis schreibe, weil es so schön hell gestrichen ist und nicht so baufällig aussieht wie das alte. Der Zweck des Gebäudes hat sich aber nicht verändert: In diesem Gefängnis auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld werden Asylbewerber festgehalten. Sie kommen mit dem Flugzeug an und sollen gar nicht erst den Boden des deutschen Rechtsstaats betreten, bevor man sie wieder abschiebt.



Diese Methode heißt "Flughafenverfahren" und ist ein Unding: Denn was nutzt ein Rechtsstaat, der sich selbst tote Winkel schafft und dort die Leute einpfercht, die den Rechtsstaat am dringendsten bräuchten? Im Flughafenverfahren haben Menschen weniger Zeit, ihr Recht wahrzunehmen. Wenn der eilig gestellte Asylantrag eines Flüchtlings abgelehnt wird, kann er dagegen klagen – das Urteil fällt aber erst, wenn der Flüchtling schon längst abgeschoben ist. Das Flughafenverfahren wird auch auf Minderjährige und Familien mit kleinen Kindern angewandt. Auch Minister Woidke findet das alles eigentlich nicht richtig, sagte er.

Dass der Minister die Presse eingeladen hatte, da bin ich mir sicher, war als Botschaft gemeint: Schaut her, hier müssen wir uns zwar nicht an alle Gesetze halten, aber es ist trotzdem alles in Ordnung. Der blaue Fußboden, die Rutsche im Garten und das gute Wetter wirkten: Der Ort hatte etwas Freundliches.

Mein Onkel Christian, den ich im Gedränge der Journalisten entdeckte, weiß, dass dies kein freundlicher Ort sein kann. Er setzt sich für Menschen ein, die so weit am Rande der Gesellschaft stehen, dass sie auch von Hilfsorganisationen und NGOs oft übersehen werden. Zum Beispiel organisiert er seit Jahren Mahnwachen vor dem Flughafengefängnis. Es kommen meistens nur zehn oder zwanzig Leute – eine kleine, feste Gruppe. Mein Onkel ist Jesuit, die Mahnwache veranstaltet er gemeinsam mit einem jüdischen, einem muslimischen und einem hinduistischen Geistlichen. Sie beten gemeinsam und versuchen, sich bei den Häftlingen per Megafon bemerkbar zu machen. Natürlich kam Christian auch zu dem Termin mit dem Minister und schaute sich das neue Gefängnis aus der Nähe an.

Wenig später beantragte Christian eine Mahnwache vor dem Flughafengefängnis – wie schon so oft. Sie sollte am 3. Oktober 2012 stattfinden. Zwei Wochen, nachdem der Minister demonstriert hatte, wie transparent er mit dem Flughafenverfahren umgeht, wurde der Antrag meines Onkels abgelehnt. Das neue Gefängnis befinde sich auf Privatgelände, argumentiert die Flughafengesellschaft, die zu 37 Prozent dem Land Brandenburg, zu 37 Prozent dem Land Berlin und zu 26 Prozent der Bundesrepublik Deutschland gehört.

Das ist schon eine interessante Logik – der Staat gründet ein Unternehmen, bezeichnet dieses Unternehmen als "privat" und verbietet dann seinen Bürgern, den Einrichtungen dieses Unternehmens zu nahe zu kommen.

Es handelt sich hier nicht um ein Wasserwerk oder eine Mülldeponie. Es geht um einen Ort, an dem Menschen leben, die in Deutschland Schutz suchen und denen wesentliche Rechte dieses Staates nicht zuerkannt werden.

In Deutschland wird viel über die EU-Außengrenzen gesprochen und wie schlimm die Situation für die dort gestrandeten Menschen ist. Wir kritisieren Griechenland und Italien für das Unrecht, das sie Flüchtlingen antun. Das Thema wirkt weit weg, doch auch jeder internationale Flughafen in Deutschland ist eine EU-Außengrenze. Die Art und Weise, wie der deutsche Staat an diesen Grenzen mit Menschen umgeht, kann doch keine "Privatsache" sein. Es muss doch noch erlaubt sein, gegen Unrecht zu demonstrieren – und zwar dort, wo es geschieht.

Mein Onkel Christian will auf den täglichen Skandal des Flughafenverfahrens aufmerksam machen. Aber noch mehr geht es ihm um etwas anders: Er will selbst nicht vergessen, wie der Staat, in dem er selbst lebt, Menschen behandelt. Das ist es, was der Staat ihm verbieten will.

Eine entsprechende Klage meines Onkels hat das Amtsgericht Königs Wusterhausen im August 2013 abgelehnt. Die Berufung verhandelt das Landgericht Cottbus, es spricht sein Urteil am 1. Oktober 2014.

Ich hoffe, dass dieser Termin die Aufmerksamkeit von Juristen und Journalisten bekommt – und vielleicht ja auch die von Dietmar Woidke, der mittlerweile Ministerpräsident ist.


1 Kommentar:

  1. Ja genau, Unrecht muss auch Unrecht genannt werden! Und das darf man auch nicht verbieten. Weiter so!!

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